Dürfen die das? - Gedanken zum Staffelfinale von „The Walking Dead“ (VORSICHT SPOILER THROUGHOUT!)
Ist es eigentlich schon ein Spoiler, wenn man verrät, dass am Ende des diesjährigen Staffelfinales von „The Walking Dead“ gerade eben doch nichts passiert? Die Macher um Showrunner Scott Gimple sich die Entscheidung über Leben und Tod eines Kernmitglieds der Überlebenden einfach aufgespart haben? Oder ist das schon wieder zu meta? Und überhaupt: Dürfen die das? Eine komplette Season lang (zumindest aber deren zweite Hälfte) Erwartungen schüren, die mit dem angekündigten Auftritt des „Big Bad Wolf“ Negan (ganz schön großartig: Jeffrey Dean Morgan) zusammenhängen und diese dann eben ganz bewusst unterlaufen – im Gegenteil dem nach einem Hauptcharaktertod lechzenden Publikum den Mittelfinger zeigen?
Wahrscheinlich hat man den Bogen mit dem Cliffhanger der sechsten Season tatsächlich mehr als nur ein wenig überspannt – gerade auch, indem man das Publikum in das perfide Spiel direkt mit einbezogen hat. Schließlich warten Kenner der Comicvorlage seit Beginn der Staffel auf das brutale Ende von Glenn, das Autor Robert Kirkman für die Serie zwar mittlerweile quasi ausgeschlossen hat – wäre nach dem Beinahe-Tod zum Midseason-Finale dramaturgisch aber auch reichlich dämlich – aber man weiß ja nie. Wenn also nicht Glenn, dann doch zumindest ein anderer schmerzvoller Abschied! Brot und Spiele! Ein Ende mit Schrecken! Und „Der letzte Tag auf Erden“ will wenig anderes, als genau diesen Abschied auch zu zelebrieren.
Deshalb steckt man Rick und Co. zwecks Schwangerenrettung in den Van und lässt sie in jeweils fast identischer Abfolge auf eine Straßensperre nach der nächsten treffen. Schon hier drängt sich ein permanent wiederholter dramaturgischer Coitus Interruptus im Aufeinandertreffen mit den Saviors an – das Warten auf Negan wird zum Warten auf Godot, das uns ein Stück weit wohl auch unsere eigene Erwartungshaltung und Machtlosigkeit vor Augen führen soll. Zunehmend hilflos gegenüber den allgegenwärtigen Saviors scheint nicht nur Rick zu reagieren, zunehmend hilflos sieht sich auch der Zuschauer dem Ränkespiel der Autoren ausgesetzt, die nach gut 45 Minuten dann doch ein Einsehen haben – oder zu haben scheinen. Auftritt Negan – und tatsächlich ist der (minus der F-Worte) all das, was man sich von ihm erwartet hatte. Bis die große Auszählerei losgeht – Eenie, Meenie, Miny, Moe – und zuerst Glenn wieder in die Reihe zurückgeschickt wird (Negan mit Blick auf den Zuschauer: Das wäre zu einfach!) und Baseballschläger Lucille schließlich doch herniedergehen darf.
Auf den verdatterten Zuschauer, der sich plötzlich in der Ego-Perspektive mit seinem nahenden Ende konfrontiert sieht – ohne freilich zu wissen, mit wessen Augen er Zeuge des eigenen Todes wird. Man wird dieses bewusste Unterlaufen der Erwartungshaltung, diesen – tatsächlich ja auch direkten Angriff – auf die eigene Fangemeinde in späteren Jahren vielleicht als dramaturgisch interessante Volte zu schätzen lernen. Im unmittelbaren Ergebnis ist es nichts weniger als ein Affront. Nicht falsch verstehen: Hätte es sich um einen klassischen Cliffhanger gehandelt, wir hätten geflucht und uns anschließend für zwei Wochen in diversen Fantheorien vergraben. Indem sie mit dem ganzen Aufbau ihrer letzten Episode in die Meta-Ebene hochspiegeln, das (vergebliche) Warten auf den spektakulären Serientod zur einzigen dramaturgischen Daseinsberechtigung des Finales werden lassen, stellen sich Gimple & Co mit fast schon erhobenem Zeige- (oder eben MIttelfinger) über ihre Fans: Jetzt schau mal, wohin Dich Deine Sensationsgier gebracht hat! Statt mit dem Rohrstock auf die Finger gibt's mit dem Baseballschläger auf den Kopf.
Dabei haben sich die Macher selbst in die Rolle derer begeben, die immer wieder den großen bösen Wolf beschworen haben, ohne ihn tatsächlich auftreten zu lassen. Nun ist er da – und doch auch wieder nicht. Wir wissen wie die Fabel ausgegangen ist. Und hoffen inständig, dass „The Walking Dead – Staffel 7“ ein paar gute Antworten und noch bessere Entwicklungen in petto hat. Denn ab Oktober 2016 ist Wiedergutmachung angesagt.
Christopher Büchele