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„Bewusstsein ändern ohne zu verkrampfen“ - Joachim Kosack im Interview

Mit der Selbstverpflichtung zu mehr Vielfalt vor und hinter der Kamera setzt die UFA als erstes deutsches Unternehmen ein Signal. Joachim Kosack, Geschäftsführer der UFA GmbH und UFA Serial Drama gibt im Interview Einblick in die Hintergründe der Entscheidung. 

In einer Reihe von Artikeln und Interviews werden wir das Thema der Vielfalt im seriellen Erzählen aus verschiedenen Blickwinkeln aufgreifen und mit jeweils verschiedenem Fokus beleuchtet, um eine Momentaufnahme im Jahr 2020 und darüber hinaus zu liefern. Wo steht Deutschland in dieser Debatte und im internationalen Vergleich? Wie bildet sich Diversität in anderen Teilen des zunehmend globalisierten Serienmarktes ab? Welche Auswirkungen hat dies auf die Produktionslandschaften und dies daraus hervorgehenden Stoffe?

Aus gegebenem aktuellem Anlass macht den Anfang hier der Blick nach Deutschland – genauer auf die Selbstverpflichtung der UFA, die bis 2024 mehr Diversität vor und hinter der Kamera Wirklichkeit werden zu lassen. Eines der erklärten Ziele hinter der Selbstverpflichtung: die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden, um Inklusion und Toleranz zu leben.

Gerhard Maier, Künstlerischer Leiter von Seriencamp Conference und Festival hat sich mit Joachim Kosack, Geschäftsführer der UFA GmbH und UFA Serial Drama, über die Notwendigkeit eines breiteren Wandels unterhalten und darüber, warum man sich als Unternehmen manchmal zum Wandel zwingen muss.

Was war die Keimzelle, aus der die Ideen zur Selbstverpflichtung und den Leitfäden für Stoffentwicklung entstanden sind?

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Joachim Kosack:

Wir haben uns vor zweieinhalb Jahren intensiv mit den Ergebnissen der MaLisa Stiftung von Maria und Elisabeth Furtwängler auseinandergesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir uns mit einer audiovisuellen Diversitäts-Charta auseinandersetzen müssen. Wir haben anschließend eine notwendige Entscheidung getroffen: Uns nicht sofort mit jeglicher Form von Diversität auseinanderzusetzen – sonst hätten wir lange und ohne konkrete Ergebnisse über die Charta diskutiert.

Wir haben entschieden, uns zunächst mit dem Thema Gender und dem Aufbrechen stereotyper Erzählweisen zu beschäftigen. Daraufhin haben wir dann eine Charta entwickelt, die Fragen an alle Development-Teams stellt: Wie muss ich Stoffe befragen, um das Bewusstsein für die Darstellung von Rollenbildern und das Geschlechterverhältnis zu schärfen. Uns ist klar geworden, dass das auch hinter der Kamera gelten muss – und dass wir uns so schnell wie möglich auch mit anderen Diversitätsthemen auseinandersetzen müssen – mit People of Color, Menschen mit Beeinträchtigungen, LGBTIQ*.

Uns war aber auch recht schnell klar, dass – wenn wir uns nicht den Vorwurf machen lassen wollen, im Diversity Circle viel zu reden, aber nichts wirklich zu ändern – wir konkrete Handlungsschritte benötigen. Nach einer langen und hitzigen Diskussion in diesem Sommer kamen wir zu dem Schluss, dass diese Veränderungen nur mit einer Selbstverpflichtung umzusetzen sind.

Woraus entspringt das damit einhergehende Bewusstsein für die Notwendigkeit hier mit konkreten Schritten so klar Position zu beziehen?

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Joachim Kosack:

Die UFA demonstriert seit zwei bis drei Jahren immer wieder, wie sie das Aufbrechen stereotyper Erzählweisen vorantreibt. Die Mitarbeiter*innen machen seit Jahren sehr klar deutlich, wie wichtig sie es finden, dass eine große Firma wie die UFA ein politisch und gesellschaftlich relevantes Bewusstsein zeigt – sowohl vor als auch hinter der Kamera. Das ist tief verwurzelt: Wolf Bauer hat schon immer darauf hingewiesen, dass uns klar sein muss, dass wir mit unseren Programmen gesellschaftsrelevant agieren – bei historischen und zeitgeschichtlichen Formaten sowie bei Formaten wie GZSZ oder Deutschland sucht den Superstar.

Dieses Bewusstsein zeigt sich bei Mitarbeiter*innen, die stark und eigenengagiert in Richtung „grünes Produzieren“ und Diversität gearbeitet haben. Nico Hofman und ich als gemeinsame Geschäftsführer, waren uns immer einig, dass Filmemachen auch einen gesellschaftlichen oder politischen Auftrag beinhaltet, der eine Haltung verlangt.

Tragen Geschichtenerzähler*innen hier größere Verantwortung, da die eigene Arbeit sehr viel unmittelbarere Auswirkungen hat?

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Joachim Kosack:

In den nuller Jahren habe ich parallel Telenovelas sowie „Die Flucht“ und „Stauffenberg“ produziert. Ich kam vom hochintellektuellen Theater, und ging zu Gute Zeiten Schlechte Zeiten. Damals gab es kein Social Media, sondern die Fans standen in Babelsberg noch vor der Tür - und wenn man nach zehn Stunden Geschichten konzipieren durch die Reihen dieser Fans ging, dann wusste man, dass man das, was man sich in den vergangenen zehn Stunden ausgedacht hatte, genau diesen Menschen erzählen wird.

Als Erzähler*in von Geschichten muss mir immer klar sein, was ich damit auslöse. Wir bilden Wirklichkeiten ab, die etwas auslösen und prägend sind. Den Begriff des Bildungsauftrags finde ich hier zu weit gegriffen. Ich denke, dass es aber immer darum geht, Impulse zu setzen.

Das muss mir bewusst sein und deshalb ist es wichtig, mit welcher Haltung ich hier herangehe. Es geht nicht um den Ansatz „Wie will ich denn die deutsche Gesellschaft verändern“, das ist zu didaktisch gedacht. Aber ich muss wissen, dass ich dazu einen Teil beitrage. Deshalb ist es wichtig für ein Unternehmen wie die UFA, dass die Macher*innen in kreativen Entscheidungen frei sind und wir nicht punktuell mit dem Rotstift an das Thema gehen. Wir als gesamte UFA fragen uns: Wie sieht unser Gesamtportfolio aus?

Das scheint eine Unternehmenskultur zu verdeutlichen, die sehr viel tiefer wurzelt als nur in Strategien, die an der Spitze entworfen werden.

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Joachim Kosack:

Unternehmenskultur entsteht nicht, wenn sich Geschäftsführer mit einem teuren Coach in ein schickes Hotel setzen und einen Purpose oder eine Kultur entwickeln. Unternehmenskultur entsteht nur, wenn Menschen Lust haben diese zu prägen und sich auf Themen zu setzen. Das tun sie aber nur, wenn sie wertgeschätzt werden und wenn sie die Ressourcen und die Gestaltungsmöglichkeiten dafür erhalten.

Eine Kultur des Zuhörens ist dafür wichtig, ebenso wie agiles und teamorientiertes Arbeiten. Ich glaube, dass es in Teams – um eine Analogie aus dem Sport zu bedienen – immer Spielführer oder Spielertrainer geben muss. Wie auf dem Fußballfeld, muss aber jeder auch wieder seine Rolle einnehmen – nicht alle können Stürmer spielen. Aber das miteinander ist im Sport ebenso wichtig wie beim Filmemachen: Regisseur*innen sind wichtig, aber ebenso sind es Autor*innen, Kamera und Kostüm- und Maskenbild etc.

Diversität ist Unternehmenskultur und beinhaltet auch die Fragen: Wie wollen wir miteinander arbeiten und wie stellt man sich als großer Player gesellschaftspolitisch auf.

Die gilt aber offenbar nicht nur in gesellschaftspolitischer Hinsicht, sondern auch in Hinblick auf die Veränderungen in der Branche. Muss sich hier auch etwas in der Ausbildung verändern, um den Veränderungen in der internationalen Produktionslandschaft gerecht zu werden?

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Joachim Kosack:

In der Ausbildung wird auch das Bewusstsein wichtiger, dass Film immer aus einem Team entsteht. Autorenfilmer*innen, die selbst alle Aspekte eines Films bestimmen, sind teilweise zumindest Auslaufmodelle. Es stellt sich die Frage inwieweit bei Nachwuchspreisen immer noch der Schöpfer eines klassischen Neunzigminüters von Bedeutung ist und nicht das Team, das dahinter steht. Hier wird sich in den nächsten Jahren sehr viel verändern – so wie sich in den letzten Jahren schon sehr viel verändert hat.

Man muss auch immer erst Werkzeuge schaffen, um diverser agieren zu können und Menschen anzusprechen, zum Beispiel beim Thema „Recruiting“. Nicht nur bei Schauspieler*innen oder Autor*innen, sondern auch in der Buchhaltung, in der Kommunikation oder in der Postproduktion. Da ist unsere Branche doch sehr akademisch weiß geprägt. Wir müssen auch an andere, neue Orte gehen, um Menschen einzuladen, sich bei uns zu engagieren.

Die Etablierung der Serie als eine der primären Erzählformen des 21. Jahrhunderts scheint einige der alten Denk- und Handlungsmuster der Branche einem Test zu unterziehen. Ist der Wille diesen Wandel zu sehen und ihn mitzugestalten wichtig, um in Zukunft überlebensfähig zu sein?

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Joachim Kosack:

Als ich Anfang der Nuller Jahre begonnen habe Serie zu lehren, waren einige meiner ersten Studenten Robert Dannenberg und Bora Dagtekin. Sie wollten Serien machen und wurden damals noch als Aliens gesehen. Es gab eine Phase, in der es zwar junge Kreative gab, die Serie toll fanden, aber vor „Im Angesicht des Verbrechens“ gab es in Deutschland nichts, was sie interessieren konnte. Gleichzeitig wurden die Sendeplätze immer rarer und fast ausschließlich amerikanisch geprägt. Nachdem Dominik Graf mit „Im Angesicht des Verbrechens“, Tom Tykwer mit „Babylon Berlin“ oder die UFA mit „Deutschland83“ die Serie als Narrativ für sich entdeckten, änderte sich das. Heute ist es wahrscheinlich schwieriger in Ludwigsburg Studenten zu finden, die eher einen Neunzigminüter machen wollen als eine Serie.

Nico Hofman und ich sind hier geprägt von der Vorstellung Wandel zuzulassen: Generationsverträge zu machen und sich vor Augen zu führen, dass alle zehn Jahre eine neue Generation entsteht, die Räume braucht. Entscheider werden sich verändern, das sehen wir bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ebenso wie bei den Streamern.

Wenn man sich als Hochschule wie auch als großes Unternehmen nicht auf den Generationswandel einstellt, wird man schnell Auslaufmodell. Die Dynamisierung eines Marktes ist immer stärker als die Strukturen, wie die Musikbranche das auf brutale Weise erleben musste.

Welche Wirkung sollen die Selbstverpflichtung und die Leitfäden der UFA entfalten?

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Joachim Kosack:

Es geht darum Stoffe und Inhalte mit einem anderen Bewusstsein zu betrachten. Als wir die Gender-Charta erstellt haben, habe ich an einem Drehbuch gearbeitet, das in einem Hochhaus spielte. Im Buch war eine kleine Rolle – und das mag sehr banal klingen, aber es verdeutlicht den Punkt des „Bewusstseins“ – mit dem Titel bezeichnet „Bewohner Eugen“. Eine weitere Rolle hieß „Frau von Eugen“ – das war uns allen nicht aufgefallen. Warum steht dort nicht „Bewohnerin Stefanie“ und „Mann von Stefanie“? Das verdeutlicht das Problem sehr gut: Warum steht in vielen Drehbüchern dann eben „der Chefarzt“ oder „der Hauptkommissar“?

Wir wollen auch manche Stereotype weiter bedienen, die gibt es ja auch weiter. Aber die Frage ist immer: Ist es der einzige Stereotyp, mit dem ich arbeite? Oder ist es nur eines aus einem Strauß von Stereotypen? Bediene ich immer dieselben Klischees, oder vermische ich das auch? Erzähle ich immer nur vom türkischen Gemüsehändler oder eben auch vom türkischen Politiker? Dieses Umdenken erreiche ich nur durch einen Bewusstseinswandel. Und für diesen Wandel muss man sich im täglichen Geschäft eben auch Fragen stellen und sich gegenseitig helfen, anders zu denken.

Die Selbstverpflichtung entsteht, weil wir die ersten Schritte gewagt haben und uns jetzt zwingen wollen in vier Jahren sichtbare Fortschritte vorweisen zu können. Nur wenn man sich zwingt, stellt man Mechanismen und Automatismen um. Wir wissen auch, dass wir Werkzeuge entwickeln müssen, um unsere Programme vergleichbar zu machen, zu evaluieren und Erfolge messen zu können. Wir sind zuerst die Selbstverpflichtung angegangen, die uns zwingt, die Werkzeuge zu entwickeln. Ich glaube, wenn wir das andersherum machen würden, reden wir in drei Jahren immer noch darüber und nichts hat sich verändert.

Es geht darum, eine Bewusstseinsveränderung herbeizuführen, ohne kreative Prozesse zu behindern und ohne zu verkrampfen. Dabei muss man auch Fehler machen dürfen und zugeben können, dass man in bestimmten Dingen noch irrt.

Herr Kosack, herzlichen Dank für das Gespräch.