„Billions“, „House Of Cards“ und die Lust an der Abscheu
Es gibt Dinge, die man im Fernsehen eigentlich lieber nicht sehen würde: Einen Paul Giamatti zum Beispiel, der gefesselt am Boden liegt, um sich von einer Domina zuerst mit einer Zigarette verbrennen zu lassen und durch deren Urin schließlich Linderung zu erfahren. Oder einen Kevin Spacey, der einem überfahrenen Hund zu Beginn einer Serie den Gnadenschuss verpasst – nicht ohne ein paar zynische Sprüche loszuwerden. Als Zuschauer von Netflix-Produktionen wie dem „House Of Cards“ oder dem jüngst via Showtime gestarteten Finanzthriller „Billions“ werden wir gleich zu Beginn mit dem Antiheldentum der Hauptprotagonisten konfrontiert, um in der Folge eine perverse Lust an deren weiterer Demontage zu verspüren. Nicht etwa, weil ihre moralische Fallhöhe so hoch wäre – diesbezüglich befinden sich die Figuren bereits ganz unten – sondern weil sie gerade infolge ihrer moralischen Defizite aufsteigen und mächtig werden. Der große Fall erfolgt – seien es frühe Vorläufer wie Vic Mackey in „The Shield“, Tony Soprano, Nucky Thompson („Boardwalk Empire“) oder eben von Natur aus zunächst als integer erwartete Figuren wie Spaceys Francis J. Underwood oder Paul Giamattis Oberstaatsanwalt Chuck Rhoades in „Billions“ – meist ganz zum Schluss.
Mehr denn je scheinen wir auch im Fernsehen von Machtspielen fasziniert, deren Mechanismen uns im wirklichen Leben oft verborgen bleiben. Vielleicht weil wir nicht sehen wollen, was sich hinter dem medialen Schleier verbirgt, vielleicht aber auch, weil uns die Protagonisten dieser Machtspiele nicht interessant genug erscheinen. Was ist schon ein SPD-Spitzenpolitiker gegen einen Francis J. Underwood, was ein kleines parteipolitisches Scharmützel gegen Mord, Totschlag, Drogenmissbrauch und promiskuitiven Sex? Machtspiele im Fernsehen sind immer nur so sexy, wie ihre Protagonisten. Und man gewinnt zunehmend den Eindruck, hier stehe erst der Protagonist und mit ihm der Darsteller fest, bevor eine machtverspielte Story um ihn herumgestrickt wird. Das nennt man dann wohl Type-Writing. Am Anfang war eben vielleicht nicht unbedingt das „House Of Cards“-Remake, sondern Kevin Spacey, den man in seinen niederträchtigsten Film-Inkarnationen gerne auf die Mattscheibe transportiert hätte, weshalb man ihm Francis J. Underwood quasi auf den Leib geschrieben hat. Oder in Frankreich „Scht’i“-Held Kad Merad, den man schon in so vielen Komödien hat sehen dürfen, dass er für eine „Gegen-den-Strich“-Besetzung im fantastischen „Baron Noir“ förmlich prädestiniert schien in seiner Louis De Funesken Dauerunruhe und dem rumpelstilzchenhaften Aktionismus. Schließlich Paul Giamatti und Damian Lewis als sinistre Gegenspieler in „Billions“. Ersterer hat in seiner filmischen Karriere schon derartig oft menschliche Abgründe hinter einer vermeintlich integren Fassade verbergen und das innere Brodeln nur halb drosseln dürfen, dass man sich gar niemand anderen mehr vorstellen kann in der Rolle des Staatsanwaltes, dem Recht und Gesetz vor menschliche Erwägungen gehen. Letzterer hat in „Homeland“ die Rolle des (mindestens) zweigesichtigen Sympathieträgers kultiviert und darf auch hier hinter der Fassade des charmanten Finanzhipsters ganz besonders dunkle Geheimnisse verwahren.
Die Schöpfung einer Serie wie „Billions“ hätte naheliegender deshalb kaum sein können. Längst hat man sich international an den vermeintlichen Machtzentren der Welt abgearbeitet und mit Serien wie „West Wing“ oder „House of Cards“ in den USA oder „Borgen“ bzw. dem vergleichsweise deutsch und bieder gebliebenen „Die Stadt und die Macht“ (eine Serie, in der vom internationalen Flair der Hauptstadt bis hin zum parteipolitischen Machtpoker vieles nur Behauptung bleibt) gezeigt, wie sich Einzelne das System zurechtbiegen. Jetzt ist – nachdem es in „House Of Cards“ bereits dramaturgisch an Einfluss gewonnen hatte - das wahre Machtzentrum der Welt dran: Die internationale Hochfinanz. Keine Minute zu spät, wie u. a. der Oscar®-Kandidat „The Big Short“ zeigt. Und dank schöpferischer Beteiligung des renommierten Finanzjournalisten Andrew Ross Sorkin (dessen Buch „Too Big To Fail“ von HBO bereits verfilmt worden war) auch inhaltlich absolut auf der Höhe der Zeit.
Im Mittelpunkt stehen Staatsmacht auf der einen (Paul Giamattis Staatsanwalt) und ungebremstes Finanzjongleurtum (Damian Lewis’ Hedgefond-Guru) auf der anderen Seite. Getrieben von krankhaftem Ehrgeiz fasst Staatsanwalt Rhoades nur Fälle an, deren Erfolgsaussichten seinen „track record“ nicht gefährden, während „Heuschrecke“ Bobby Axelrod tunlichst darauf bedacht ist, das positive Image, das er in der Öffentlichkeit hat, trotz windiger Deals aufrechtzuerhalten. Dass beider Egos in „Billions“ aufeinanderprallen, hat strukturelle und persönliche Gründe. Rhoades gerät unter Druck, auch mal einen größeren Fisch an Land zu ziehen, bei beiden scheint zudem eine subtil ausgelebte Konkurrenz eine Rolle zu spielen. Denn Rhoades Frau (und Domina) Wendy (Maggie Siff) steht als Axelrods Firmenpsychologin und Geheimnisträgerin zwischen den beiden, ganz persönliche Seilschaften werden so schnell zum Spielball der wiederstreitenden Interessen. Das funktioniert (bislang) vor allem deshalb so gut, weil hier Paul Giamatti und Damian Lewis gegeneinander anspielen. Und weil es wenig gibt, was Ottonormalzuschauer mehr abstößt, als die eitle Mischung aus „Was kostet die Welt“-Großkotztum und arrogantem altem Politadel. Wie dauerhaft diese dramaturgische Steigerung in Sachen Niedertracht tragfähig ist, wird die Zukunft zeigen. Zumal „Billions“ bereits in eine weitere Season verlängert wurde. Spacey und sein Kartenhaus müssen jedenfalls aufpassen, als Nebenkriegsschauplatz in Sachen „Wer regiert die Welt“ nicht in sich zusammenzustürzen. Während beide auch ein Auge auf Europa werfen sollten, wo sich „Baron Noir“ allem Anschein nach dazu anschickt, das Spiel um Macht und Niedertracht in die nächste Runde zu schicken.
Christopher Büchele